Das Schicksal der Flüchtlinge in Moria auf Lesbos ist längst wieder aus den Schlagzeilen verschwunden. Die Tragödie aber geht weiter auf dem Atlantik und in Lipa im Norden Bosniens. Die EU benutzt und verlängert das Elend kaltblütig zur Abschreckung von Menschen, die Zuflucht vor Krieg, Terror und Hunger suchen.
Wir nehmen das zum Anlass, an Herbert Leuninger zu erinnern, der lebenslang für Menschenrechte kämpfte, die Hilfsorganisation ProAsyl mitgegründet hat, aber auch noch 2019 auf dem Limburger Ostermarsch für Frieden und Abrüstung eingetreten ist.
Am 28. Juli 2020 ist im Alter von 87 Jahren in Limburg der katholische Geistliche Herbert Leuninger verstorben. Zu seinen Leistungen zählt nicht nur sein beständiges Engagement für Geflüchtete und Integration in Deutschland in Kirche und Gesellschaft. Über religiöse und landesweite Grenzen hinaus erlangte er insbesondere durch die Gründung der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, die er 1986 zusammen mit Jürgen Micksch ins Leben rief, Bekanntheit. Deren Motto „Der Einzelfall zählt“ hat sich über die Jahre als Aufruf vieler in diese Richtung arbeitender Gruppierungen im allgemeinen Bewusstsein verfestigt. Sein Tod im Juli des vergangenen Jahres hat bundesweit zu anerkennenden und ehrenden Nachrufen geführt. Auch wir wollen an dieser Stelle unsere Achtung und unseren Respekt für einen großen Mann zum Ausdruck bringen, dessen Wirken umso mehr Eindruck hinterlässt, als er als ein in unserer Nähe Lebender und Handelnder keine abstrakte Figur, sondern sozusagen „einer von uns“ war.
Herbert Leuninger wurde am 08. September 1932 in Köln geboren. Er wuchs in einer engagierten Familie auf – sein Vater war christlicher Gewerkschaftssekretär, sein Onkel Widerstandskämpfer gegen das Nazi-Regime und wurde als solcher hingerichtet. Die Familie zog in den Westerwald, Leuninger machte Abitur und studierte Philosophie und Theologie. Nach zwei Jahren in der Gesellschaft der Pallottiner wechselte er in das Bistum Limburg, wurde Priester und war in vielen Themengebieten, nicht nur der Ausländer- und Asylpolitik, tätig. Auch innerkirchliche Fragen wie die nach Umgang und Einsatz von Laien oder speziell der Gleichberechtigung der Frauen in der Kirche beschäftigten ihn. Sein Hauptaugenmerk aber galt dem Einsatz für die Geflüchteten und ihren Menschenrechten, der ihn über die Kirchengrenzen hinaus bekannt machte und für die er bundesweit Beachtung und Anerkennung fand.
Dabei ging sein persönlicher Einsatz weit über Worte und Schriften hinaus. 1986 trat er sogar in einen Hungerstreik, um den damaligen hessischen Sozialminister auf die wie er sagte „skandalöse Unterbringung der Flüchtlinge“ in einem Zeltlager in Schwalbach hinzuweisen und eine Änderung der Unterbringung zu erreichen, was ihm auch gelang. Dass er aufgrund dieser 5 Tage dauernden Aktion den Gründungsakt seiner Organisation PRO ASYL verpasste, war ihm nebensächlich. Bis in das Jahr 1994 war er Sprecher von Pro Asyl, bis 1998 ihr Europa-Referent.
Einen Höhepunkt fand die politische Arbeit in der Anfang der 90er Jahre weitgehend menschenverachtend geführten Debatte um das Recht auf Asyl in Deutschland. Pro Asyl gelang es, mehr als 100000 Menschen zum Gang auf die Straße zu bewegen – leider ohne den gewünschten Erfolg, das Grundrecht auf Asyl wurde dennoch geändert. Aber Leuninger gab nie auf. Regelmäßig warnte er vor rechten Tendenzen in Politik und Gesellschaft, seine Kritik am Vorgehen der Regierung äußerte er immer wieder und unverhohlen. »Wenn Staat und Behörden ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit nicht mehr täten, fällt den Bürgerinnen und Bürgern die Aufgabe zu, die Einhaltung der Menschenrechte mit allem Nachdruck einzufordern. Dies ist kein privates Hobby, dies ist eine öffentliche Aufgabe«, formuliert Herbert Leuninger im Jahr 2011 (Quelle: proasyl.de). Bereits 1991 war er mit der Wilhelm Leuschner-Medaille der Hessischen Landesregierung ausgezeichnet worden.
Seinen Ruhestand verbrachte Herbert Leuninger in Limburg, allerdings nicht, ohne sich auch hier einzubringen, so dass wir vom Bündnis Courage ihn persönlich erleben durften : Bei der Einweihung des Gedenksteins für den von Rechten ermordeten Charles Werabe in der Brückenstraße in Limburg im Jahr 2018 trat er als Redner auf, um an die Würde jedes Menschen und unsere Verpflichtung zur Verteidigung dieser zu sprechen und segnete den Gedenkstein. Beim Limburger Ostermarsch 2019 trat er ebenfalls vor die Menge, und sprach von dem, was ihm zeitlebens wichtig war.
Claudia Roth nannte ihn nach seinem Tod einen „radikalen Humanist und unbeugsamen Demokrat“, einen „streitbaren Schützer unserer Verfassung“, Jürgen Micksch ihn „das Gesicht von PRO ASYL und die katholische Stimme für Migranten und Flüchtlinge in Deutschland“. Letzteres bedeutet auch eine große Verantwortung für die katholische Kirche, die noch immer und gerade hier bei uns in Limburg über einen starken gesellschaftlichen Einfluss verfügt. Bleibt zu hoffen, dass sie sich dieser Verantwortung auch bewusst ist und ihr gerecht werden kann!