Nicht erst nach dem russischen Angriff gegen die Ukraine haben hiesige Medien den russischen Präsidenten mit Hitler verglichen. Andere haben auf Nazis in der Ukraine gedeutet. Was ist dran an solchen Zuweisungen?
Faschismus kommt immer zum Zuge, wenn ohne ihn die herrschenden Eliten ihre Probleme nicht mehr anders zu lösen wissen.
Nicht immer nötig, oft aber hilfreich ist dabei eine Massenbewegung, ein Mob, der zu Taten bereit ist, die man Menschen in normalen Zeiten nicht zutraut. Getrieben von Chauvinismus, Haß und Vorurteilen aller Art und Liebe zu Führer, Volk und Vaterland, gerne auch zu Allah, Patriarch oder Papst.
- Der Zweck kann sein, eine labil gewordene oder verlustig gegangene Herrschaft wiederherzustellen. Geläufig sind die (klerikal-)faschistischen Diktaturen mit Mussolini und Franco in Europa. Später viele Militärdikaturen in Lateinamerika.
- Der Zweck kann auch sein, einem bestehenden Regime Rückenfreiheit für seine Kriegspläne zu schaffen. Weil es in Deutschland mit dem Kaiser nicht klappte, ernannte man zur Eroberung Europas einen „Führer“. Sein Volk blieb ihm bis zum physischen Untergang treu. Die einen aus Angst, die anderen aus Überzeugung.
Bei allen aller Verschiedenheit der Ausgangslage und der Umstände: Einen „friedlichen“ Faschismus, ohne exzessive Gewaltausübung, kennen wir nicht.
Das unterscheidet den Faschismus auch von anderen autoritären Regimes, die mit dem Faschismus viele Ideologeme teilen (Nation, völkische Reinheit, Geschichts- und Naturmythen, Starke Männer, Chauvinismus gegenüber Nachbarvölkern usw.usf).
Die Übergänge sind fließend und aus Konservativen werden immer wieder Faschisten, so auch in der Weimarer Republik. Auch tarnt sich mancher Faschist vorläufig als Konservativer. Ist aber auch ein relevanter Mob dabei, beginnt die offene Gewalt meist schon vor der Ermächtigung. Bereits dann hilft er beim Einschüchtern und Niederhalten von Linken, Demokraten, Oppositionellen.
Dadurch verwischt mancher Unterschied und „Faschismus“ und „faschistoid“ wird heute vieles genannt, was mit dem Beschriebenen nicht viel zu tun hat. Abgesehen von der begrifflichen Unschärfe fördert das vor allem eine Verniedlichung der historischen Erfahrungen mit dem realen Faschismus.
Ukraine und Russland – eine Gegenüberstellung
Die beiden unmittelbar kriegführenden Länder haben viele strukturelle Gemeinsamkeiten.
Ihre Mächtigen sind Großunternehmer, Oligarchen, die ihr Vermögen aus dem Staatseigentum des untergangenen Sowjetsystems zusammengeraubt haben. Manche unterhalten Privatarmeen, andere leisten sich eigene Medien (wie man das auch im Westen kennt).
Die heute dominierenden russischen Oligarchen haben mit Putins Hilfe bereits Anfang des Jahrtausends ihre Konkurrenten auf unterschiedliche, teils gewaltsame Weise beiseite oder außer Landes geschafft.
In der Ukraine zog sich der Machtkampf deutlich länger hin: Zwischen einer westlich und einer russisch orientierten Fraktion. Dies auch deswegen, weil viele Oligarchen Geschäfte nach beiden Seiten tätigten, und weil die Bevölkerung fast zur Hälfte russisch orientiert ist (oder war!). Erst 2014 wurde dieser Kampf entschieden und die westliche Fraktion obsiegte in einem Putsch mithilfe von USA und EU.
Formal gibt es heute in beiden Staaten Wahlen zu Parlamenten und Präsidenten, allerdings werden der herrschenden Gruppe unbequeme Parteien behindert oder verboten, unliebsame Kandidaten vorab ausgebootet, verhaftet, ermordet. Weitere gewaltsame Staatstreiche sind seit den genannten unterblieben.
Alle einflußreichen Medien sind in beiden Ländern auf Regierungslinie, auch das ist nicht spezifisch, und ähnelt der aktuellen Situation im Westen. Wer über elektronische Medien wie das Internet oppositionelle Stellung bezieht, lebt nicht sicher; in den beiden Ländern gibt es nicht nur einen „Assange“. Das Demonstrationsrecht unterliegt in beiden Staaten polizeilicher Willkür.
In der Ukraine gab es pogromartige Angriffe auf linke, progressive und pro-russische Menschen (Odessa). In Rußland ist die Verfolgung vergleichsweise subtiler, zudem wird die KPRF geduldet, weil (und solange?) sie die Außenpolitik Putins nicht in Frage stellt.
Die Kräfte hinter dem Massaker von Odessa (rechter Sektor, Swoboda) wurden nicht verfolgt, sondern in den Staatsapparat übernommen. In beiden Ländern werden regelmäßig einzelne Oppositionelle verfolgt, entführt oder ermordet; für die Beteiligung staatlicher Stellen gibt es starke Anzeichen. Vereinigungen und Verbände wie den „Rechten Sektor“, das „Asow-Regiment“ und andere gibt es in Rußland nicht, zu den Ursachen ganz am Schluß.
Über Massenverbrechen und Massenterror, wie sie unter anderen für genannten faschistischen Diktaturen charakteristisch waren -Konzentrationslager voller Oppsitioneller, Pogrome, Massenmorde, tausende „Verschwundener“ – ist bisher weder aus der Ukraine noch aus Rußland berichtet worden.
Allerdings haben beide Zentralstaaten in Sezessionskriegen ihre abtrünnigen Landesteile mit großer Härte bekämpft. Die bisherige Kriegführung beider Seiten etwa mit dem deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion zu vergleichen ist ebenso abwegig, wie die infltionäre Verwendung des Begriffs „Genozid“ in den wechselseitigen Anwürfen.
- Die Kriegführung beider Seiten seit Februar 2022 erforderte eine gesonderte Betrachtung. Allerdings sind weder die Frage von Angriffskrieg oder Verteidigungskrieg, noch die behaupteten Kriegsverbrechen noch die zahlreichen zivilen Opfer ein kennzeichnendes Merkmal faschistischer Kriegsführung. Die staatliche Protektion der militärischen Täter und die brutale Verfolgung von Investigativjournalisten gehört ebenso zu den westlichen Werten. Es werden sicher auch noch Berichte über Chemiewaffeneinsätze usw. folgen, für die ähnliches zutrifft.
Nach einer solchen, holzschnittartigen Gegenüberstellung der Kriegsparteien sowie ihrer gesellschaftlichen Gegebenheiten und ihres staatlichen Verhaltens kann man auch versuchen, Propagandaformeln beider Seiten einzuordnen.
Anders als die gemeinsame sowjetische Vorgängernation verfügen weder Rußland noch die Ukraine über geschlossene Welterklärungen und eine sich je daraus ableitende kohärente Propaganda.
Die russische Regierung etwa verdammt zwar den Bolschewismus, operiert aber z.B gleichzeitig mit dem postsowjetischen (berechtigten) Stolz vieler Russen auf die opferreiche Niederringung des deutschen Faschismus. Mit dem teilt sie zugleich Ideologeme wie die Homophobie, um nur ein Beispiel zu nennen. Antisemitismus kann nicht als konstituierender Teil russischen Staatshandelns ausgemacht werden, üble Einlassungen dennoch nicht ausgeschlossen.
Kiew übt den Spagat, seinen aufopferungsvollen Kampf für den Westen zu betonen, der aber stand vor 80 Jahren gemeinsam mit der Sowjetunion gegen die „Helden der Ukraine“, die damals gemeinsam mit den Nazis ihre Mitbürger, Juden, Polen und Russen ermordeten. Das Spiel mit seiner jüdischen Herkunft hat dem Präsidenten ausgerechnet seinen Knesseth-Auftritt zum Eklat werden lassen.
Putin wurde als KGB-Mann und Judoka zur Rettung des nach den Jelzin-Jahren darniederliegenden Landes gewählt. Offenbar hat er in dieser Rolle Eigengewicht gegenüber der Oligarchie entwickelt (und ist selbst zum Oligarchen geworden). Seine gewöhnungsbedürftigen Videoclips mit und ohne Oberkörper haben seinem Ansehen in seinem Land offenbar nicht geschadet. Ähnliche Auftritte hatten auch schon hiesige Politiker, allerdings mit weniger Erfolg. Derselbe Putin holte 2001 den Bundestag von den Stühlen, im vollen Anzug.
Auch Selenskyi wurde vom Schauspieler zum Nachfolger des desavouierten Oligarchen Poroschenko gewählt: Sein Wahlversprechen, Frieden mit Rußland zu schließen war ebensowenig im Interesse der USA wie der ukrainischen Faschisten. Unter ihrem Druck setzte er die Blockade von Minsk-II fort und bereitete die Rückeroberung der Krim vor. Wiederum übliches „Regierungshandeln“ und kein Alleinstellungsmerkmal von Faschisten.
Angesichts der Phrasen aus Moskau („wir befreien die Ukraine vom Faschismus“), aus Kiew („der russische Angriff ist schlimmer als der Zweite Weltkrieg“), aus Washington, Bratislava und den deutschen Medien („Putin ist wie Hitler“) schrillen alle Alarmglocken „Faschismus“ und auch die Präsidenten spielen damit.
In Rußland setzt Putin mit umfangreichen Einlassungen selbst einen „antifaschistischen“ Rahmen, wobei seine Leute teils üble faschistoide Anleihen nehmen, wenn sie etwa die ukrainische Kultur negieren, den Ukrainischen Staat abschaffen wollen oder sich antisemitischer Stereotypen bedienen (T. Sergejzew, Blätter 2022-05, S.Lawrow, FAZ 2022-05-03).
In der Ukraine hingegen gibt der Präsident den Bannerträger westlicher Fryheit & Demokracy (Brecht), während nicht nur seine seine offen faschistischen Hilfstruppen, sondern zunehmend auch auch die Innen- und Kulturpolitik insgesamt den Nazikollaborateuren von 1941 huldigen (Asow-Bataillon DLF 2022-04-04, A.Melnyk, z.B FAZ 2022-04-05).
Zusammengefaßt: Der Trend nach rechts, zu Nationalismus, Chauvinismus und autoritärem Staatsumbau ist Rußland und der Ukraine (wie fast allen kriegführenden Parteien aller Zeiten) gemeinsam. Faschistische Diktaturen im obigen Sinne sind sie nicht, auch wenn sich faschistische Akteure, Banden, Chauvinisten … und Zitate finden.
Es verbleibt somit der Gegensatz im Bezug zum historischen Faschismus:
Das heutige Rußland sieht sich in der Tradition der Anti-Hitlerkoalition und betont den entscheidenen sowjetischen Beitrag zu ihrem Sieg am 9. Mai 1945.
Die heute in der Ukraine maßgeblichen Kräfte berufen sich hingegegen auf diejenigen ihrer Vorfahren, die bei den schlimmsten Verbrechen des deutschen Faschismus nach Kräften mithalfen.
Die hiesige einseitige Parteinahme für die Ukraine ist also interessen- und nicht werte-getrieben.
In den USA wird auf diesen Umstand zunehmend hingewiesen. Je länger der Krieg anhält, desto deutlicher dürften diese Momente an Gewicht gewinnen. Noch aber liefern wir NATO-Vasallen die Waffen und Washington und London gießen Öl ins Feuer.
Für uns bleibt: Der Kampf gegen rechts muß immer den Kampf gegen den Militarismus einschließen.
Testkommentar